Geschichte von St. Amandus, Herongen
1. Vorgeschichte und Entstehung
Wenn man sich von Nordosten her der Mitte Herongens nähert, dann rücken zwei Kirchen gleichzeitig ins Blickfeld. Rechts der Bergstraße die kath. Pfarrkirche "St. Amandus", deren Jubiläum wir in diesem Jahr begehen, und einige Meter weiter, gegenüber der Pfarrkirche, auf der linken Seite der Bergstraße eine zweite, kleinere und wesentlich ältere Kirche im gotischen Stil, deren Turm der Straße zugewandt ist.
Allein die enge Nachbarschaft der alten und der neuen Kirche lässt bereits etwas von der besonderen Geschichte und der Kontinuität in der Beziehung beider Gotteshäuser erahnen.
Kirchen sind, - mehr noch als manch andere historische Gebäude -, stumme Zeugen der Zeitgeschichte. Sie geben dennoch, so auch unsere Kirchen, durch ihre Stilelemente und durch Spuren besonderer Ereignisse oder zeittypischer Veränderungen Aufschluss über ihre Entstehung und über den gesellschaftlichen, kulturellen und liturgischen Wandel in der Zeit ihres Bestehens.
Bis zur Vollendung der neuen Pfarrkirche 1905 diente die zuvor erwähnte alte Kirche der Gemeinde als einziges Gotteshaus. Die Ursprünge dieser Kirche gehen auf das 14. und 15. Jahrhundert zurück.
Zumindest der zum Teil aus Mergelstein erbaute gotische Chorraum ist in diese Zeit einzuordnen. Um 1500 entstand das mit Backsteinen ebenfalls im gotischen Stil errichtete Langschiff. Der letzte Bauabschnitt, - die Erstellung des Turmes - ist in einer stark verwitterten Inschrift an der Westseite des Turmes belegt mit der Jahreszahl 1552.
Im Xantener Erkundungsbuch um 1500 erhielt die Kirche erstmals die amtliche Bezeichnung "ecclesia s.amandi". Spätestens ab diesem Zeitpunkt war Herongen eine selbstständige Pfarrei. Sicher ist auch, dass die Kirchengemeinde Herongen schon um 1200 das Taufrecht ausübte, was durch den romanischen Taufstein, der sich nun in der neuen Kirche befindet, belegt wird.
In der Folgezeit bekunden alte Kirchenbücher und Visitationsberichte eine stetig wachsende Zahl der Kirchenmitglieder. Zählte die Gemeinde im Jahre 1861 noch 780 Einwohner, so waren es um 1900 fast 1000.
Angesichts dieser schnellen Bevölkerungsentwicklung reichte das Platzangebot in dem kleinen Kirchlein schon lange nicht mehr aus.
Dicht gedrängt mussten die Gläubigen an Sonn- und Feiertagen der hl. Messe beiwohnen. Eine heute nicht mehr vorhandene, nach Süden angebaute Vorhalle linderte nur geringfügig die Raumenge für 580 bis 660 Kirchgänger.
Es lag nahe, dass sich der schon seit Jahrzehnten gehegte Wunsch nach einer neuen größeren Kirche bei den Gemeindemitgliedern verstärkte.
Auch die Verantwortlichen der Gemeinde hatten die zwingende Notwendigkeit eines Kirchenneubaus längst erkannt. Doch es fehlte an den nötigen Geldmitteln. Herongen galt damals ohne Anschluss an wichtige Verkehrswege als kleinste und ärmste Gemeinde im Kreis und in der näheren Umgebung. Zu den Dorfbewohnern zählten überwiegend kleine Ackersleute, die sich von kargen Böden ernähren mussten, kleine Handwerker, Weber, die in Heimarbeit ihr Brot verdienten, Kleinhändler und Fabrik- und Waldarbeiter. Entsprechend gering war das Steueraufkommen der Gemeinde.
Ein starker Wille der gesamten Bevölkerung zur Schaffung des neuen Gotteshauses ermöglichte dennoch die Einrichtung eines Kirchenbaufonds, in dem über Jahrzehnte unter großen Opfern Geld für den Neubau angespart wurde.
Darüber hinaus trug eine vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz genehmigte Haussammlung in den Regierungsbezirken Köln, Aachen und Düsseldorf zur Mitfinanzierung des Kirchenneubaus bei.
Im August 1898 stand mit dem Abbruch des alten Pfarrhofes auch das erforderliche Baugrundstück für den Kirchenneubau bereit. Doch erst 1901 beauftragte die Gemeinde den über das Rheinland hinaus bekannten Kirchenbaumeister Caspar Clemens Pickel aus Düsseldorf mit der Planung des neues Gotteshauses.
Nach der Prüfung der Baupläne und des Kostenanschlages in Höhe von 76.500 Mark fasste der Kirchenvorstand am 19. Juli 1902 den einstimmigen Beschluss, den Plänen und auch dem Baubeginn zuzustimmen. Da für den Neubau jedoch nur 68.000 Mark zur Verfügung standen, wurde ausdrücklich betont, dass diese Summe unter keinen Umständen überschritten werden dürfe.
1903 wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Die feierliche Grundsteinlegung fand am 11. Oktober 1903 statt. (Auf der hinteren Umschlagseite ist innen ein Zeitungsbericht über die Grundsteinlegung mit dem Text der in dem Grundstein eingelassenen Urkunde.) Die Einweihung des lang ersehnten neuen Gotteshauses erfolgte nach fast dreijähriger Bauzeit am 30. August 1905 unter großer Anteilnahme der Heronger Bevölkerung durch den Bischof von Münster, Hermann Dingelstad.
2. Die Gestalt der Kirche
Wie in manchen seiner Entwürfe gestaltete der Düsseldorfer Architekt Pickel (1847 - 1939) auch die neue Pfarrkirche in Herongen als zweischiffige Hallenkirche im damals bei Sakralbauten bevorzugten neugotischen Stil.
Die Heronger Kirche gilt als einzige zweischiffige Kirche Pickels, die zur Vollendung gelangte.
Im äußeren Erscheinungsbild des mit Backsteinen errichteten Kirchengebäudes dominiert der an der Nord-Ost-Ecke zur Straßenseite hin angelegte quadratische Turm. Das Glockengeschoss wird durch die spitzbogigen Schallfenster und durch die in Sandstein ausgeführten Eckausbildungen optisch hervorgehoben. Darüber erhebt sich ein achteckiger verschieferter Helm mit vier Ziertürmen. Der Turm erreicht mit seiner Spitze eine Gesamthöhe von ca. 40 m.
Der Eingangsbereich im Mittelteil der Fassade wird durch zwei Strebepfeiler und ein Doppelportal betont, dessen Maßwerk mit dem darüber liegenden Spitzbogenfenster eine Einheit bildet.
Nach Süden fügt sich etwas versetzt zur Ostfassade die Taufkapelle an. Dem Ostteil des Gebäudes schließt sich in den Abmessungen 20 m x 13 m eine zweischiffige Halle an, die sich in vier Joche unterteilt.
Im dritten Joch befindet sich eine kleine dreiseitige nach außen vorwölbende Kapelle. Ein Triumphbogen leitet zu dem fünfseitigen Chor über, der mit einer Breite von 6,50 m den westlichen Abschluss bildet. Im Gegensatz zu den Hallenfenstern sind die Chorfenster zweibahnig. Im südwestlichen Winkel von Chor und Halle liegt die Sakristei.
Sowohl das Dach der Sakristei als auch die Dächer der beiden Kapellen sind geschiefert. Das Vorhallendach, das steile Satteldach des Haupthauses und das bei gleicher Traufenhöhe etwa um 3 m abgesenkte Chordach wurden mit Ziegeln gedeckt. Starke abgestufte Strebepfeiler und dreibahnige spitzbogige Maßwerkfenster gliedern die Seitenfassaden.
Die Halle beeindruckt durch ein sehr plastisch wirkendes Netzgewölbe, welches in der Hallenmitte durch Säulen gestützt wird. Für Bauten des Architekten Pickel typisch, wachsen die Netzrippen scheinbar absatzlos aus den schlanken Rundsäulen heraus.
An den Seitenwänden und im Chor werden die gebündelten Rippen von kleinen Konsolen aufgefangen. Die beiden Kapellen wurden mit Sterngewölben ausgestattet.. Die Vorhalle, durch eine hölzerne Empore geteilt, überspannt ebenfalls ein Netzgewölbe. Kräftige Wandvorlagen, die im oberen Bereich der Form der Fenster und des Gewölbes folgen, gliedern die Innenseiten der Schiffswände.
Die ungewöhnliche Mittelstellung der Säulenreihe behindert zwar den freien Durchgang, dafür ermöglicht sie aber eine unverstellte Sicht aus den Bankreihen in den Altarraum.
3. Das Kirchengebäude im Wandel der Zeit
Die Einrichtung und künstlerische Ausgestaltung des Kirchenraumes erfolgten nach und nach und fanden erst Mitte der 20 er Jahre mit der Aufstellung des Marien- und Josefsaltars einen vorläufigen Abschluss. Zunächst überwog nach der lang ersehnten Einweihung die große Freude über das Erreichte. Nach der drangvollen Enge in der alten Kirche konnten die Gläubigen nun in Ruhe und Würde ihre Gottesdienste feiern.
Die Erstausstattung des noch relativ schmucklosen, aber durch seine Architektur dennoch ansprechenden Raumes beschränkte sich zunächst auf die Unterbauten des Hochaltares, der Seitenaltäre, des Nebenaltares in der Betkapelle und auf die Kommunionbank mit reichen Eichenholzschnitzereien und einer szenischen Darstellung des Abendmahles. Die Entwürfe hierzu stammen auch von dem Kirchenerbauer Pickel.
Darauf folgte 1906 die Anschaffung der heute noch vorhandenen Kirchenbänke aus Eichenholz, die an den Wangen ein Maßwerkrelief und darüber eine Blattwerkverzierung aufweisen. Bereits ein Jahr später, im Jahre 1907, entstand die an der südlichen Schiffswand angebrachte Kanzel, welche - ebenfalls von Pickel entworfen - damals im Geldernschen Wochenblatt als „schönes Werk niederrheinischer Holzschnitzkunst" gerühmt wurde. Auch die zwei dreiteilig gegliederten Beichtstühle aus Eichenholz mit Maßwerkverzierungen stammen aus dieser Zeit.
Ein Hochaltar war laut eines Kirchenvorstandsprotokolls von Juli 1909 zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden. 1987 wird der jetzige Hochaltar in „Die Bau und Kunstdenkmäler von Nordrhein-Westfalen“ von R. Schiffler auf den Seiten 84/85 in der Hauptsache wie folgt beschrieben: Der Unterbau (Mensa und Stipes) ist aus Kalkstein. Der Aufbau (das Retabel) aus Eiche, farbig gefasst und teilweise vergoldet, wurde von A. Becker (Brockhinke) Wiedenbrück Westf. ausgeführt.
Die Front des Unterbaus zeigt die Propheten Isaias und Malachias, in der Mitte den Hohen Priester Melchisedech. Der zweizonige Aufbau enthält im unteren Teil links und rechts vom Tabernakel Figuren der hll. Alphons von Liguori, Thomas von Aquin, Paschalis, Barbara, Juliana und Clara.
In der oberen Zone befinden sich zwei Reliefs mit der wunderbaren Brotvermehrung und dem Wunder zu Kana. Den seitlichen Abschluss bilden die Figuren des hl. Amandus und des hl. Ludger.
Mit der Bemalung des Chorraumes und der Verglasung der Chorfenster in den Jahren 1908 und 1909 erhielt die Kirche erste farbige Akzente.
Der vom Kirchenvorstand beauftragte Maler Heil aus Krefeld schuf mit Keim-Mineralfarben eine reiche Ausmalung des Chorgewölbes. Zudem versah er die Chorwände und Teile der Stirnwand im Bereich der Seitenaltäre mit einer blaugrundigen Teppichmalerei, die im Chor nach oben mit einem Fries aus Blatt- und Blumenornamenten abschloss.
Besonders erwähnenswert sind zwei von Heil geschaffene Gemälde an der südlichen Chorwand, welche die Verkündigung und die Geburt Jesu darstellen. Die aufwändig gestalteten Bilder sind von einem gemalten Maßwerk umrahmt.
Eine große Bereicherung des inneren Erscheinungsbildes erfuhr die Kirche ferner durch den Einbau der fünf neuen Chorfenster, die von der Glasmalerwerkstatt Derix Kevelaer gefertigt wurden. Die Entwürfe hierzu stammen von dem bekannten Maler Friedrich Stummel, der in Kevelaer eine Malerschule unterhielt. Die in kräftig leuchtenden Farben reich ausgestalteten fünf Bildfenster zeigen figürliche Darstellungen zur Auferstehung und zur Himmelfahrt Jesu, der Sendung des Geistes, zur Himmelfahrt Mariens und Krönung Mariens. Sie entsprechen den Geheimnissen des glorreichen Rosenkranzes.
1912 folgten die acht Fenster des Kirchenschiffs. Sie sind Stiftungen alter Heronger Familien, deren Inschriften am unteren Fensterrand zu finden sind. Auch diese Fenster sind Werkstücke der Glasmalerei Derix. Sie wurden als Zyklus gestaltet und zeigen neben einer reichen Ornamentik halbfigürliche Darstellungen von Heiligen, die durch ihren Lebenswandel dem Anspruch einer bestimmten Seligpreisung beispielhaft entsprochen haben. Die den Heiligen jeweils zugeordneten Seligpreisungen befinden sich in Form von Inschriften an der Fensterbasis.
Im Jahre 1912 erhielt die Kirche auch ihre erste Elektroanlage. Ihr folgte der Einbau einer Warmluftheizung im Jahre 1925, die ausschließlich aus Kollekten bezahlt wurde.
Erst nach Kriegsende 1945 wurden in verschiedenen Zeitabständen wiederholt umfangreiche Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt.
Die erste Großreparatur erfolgte in den Jahren 1948/49. Artilleriegeschosse und Granatsplitter hatten im März 1945 erhebliche Schäden an der Bausubstanz der Kirche verursacht. Dach und Mauerwerk des Haupthauses mussten repariert werden; zwei beschädigte Fenster an der Nordseite wurden abweichend von den noch vorhandenen ursprünglichen Entwürfen durch die Werkstätten Derix erneuert. Ferner waren Teile des Fenstermaßwerks, des Gewölbes und auch des Gestühls beschädigt worden.
Parallel zu den vorgenannten Maßnahmen erhielt der Kirchenraum einen neuen Anstrich, der pünktlich zum Weihnachtsfest 1949 fertig gestellt werden konnte. 31 Jahre nach der Erstbemalung.
Die ursprünglichen Gewölbe- und Wandmalereien im Chorraum wurden mit hellen Farben deckend überstrichen; Auch die zwei Einzelgemälde über der Sakristeitüre.
Oberhalb und zu beiden Seiten des Triumphbogens auf die Stirnwand des Schiffes gemalte Engelgruppen sollten in ihrer Darstellung den Blick auf den Altarraum lenken. Allgemein fand die aufhellende und zugleich zurückhaltende Farbgebung des Raumes bei den Kirchenbesuchern große Zustimmung.
Die Nachkriegsentwicklung in der bildenden Kunst und in der Architektur hat vor allem in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts das Kunstverständnis auch breiter Schichten der Bevölkerung stark geprägt. Es lag nahe, dass der allgemeine Trend zur Vereinfachung und zu klaren Formen in dieser Zeit auch gestalterische Maßnahmen in der Amanduskirche mit beeinflusste.
In den 60er Jahren wurden große Teile der Verzierungen an den Altären und den Beichtstühlen, sowie die schmiedeeisernen Leuchter und die Kanzel aus der Kirche entfernt. Teile der Kanzel sind jedoch erhalten geblieben. Es sind drei Rahmenfüllungen mit Reliefs, die Szenen der Bergpredigt, der Seepredigt und Jesus im Tempel, wiedergeben. Sie wurden zu einem einheitlichen Element umgestaltet und befinden sich jetzt an der Stelle des Kirchenschiffes, wo früher die Kanzel angebracht war.
Auch die vom Vatikanischen Konzil (1962-1965) beschlossene Liturgiereform hatte Auswirkungen auf die Umgestaltung des Kirchenraumes.
Nach dem Liturgieverständnis im Zuge dieser liturgischen Erneuerung sollte sich die Gemeinde beim Gottesdienst gleichsam um den Altar versammeln. Der Priester feiert seither die heilige Messe den Gläubigen zugewandt.
Die notwendigen räumlichen Veränderungen vollzogen sich nach und nach bis Anfang der neunziger Jahre. Die den Kirchenraum optisch trennende Kommunionbank wurde im Sinne dieser Neuerung entfernt und in einzelnen Teilen bei der Erstellung des Zelebrationsaltars verwendet. Dieser steht seitdem vorn im Chorraum an der Schwelle zum Kirchenschiff.
Die 80er Jahre brachten, neben dringenden Reparatur- und Renovierungsarbeiten, weitere räumliche Veränderungen mit sich.
Um den Pfarrangehörigen für ein stilles Gebet an allen Tagen einen ungehinderten Zutritt zur Kirche zu ermöglichen, ohne das Hauptschiff betreten zu müssen, wurde 1981 die Taufkapelle zur jetzigen Marienkapelle umgestaltet. Der noch aus der alten Kirche stammende Taufstein aus dem 12. Jahrhundert, über den später noch ausführlich berichtet wird, wurde aus diesem Grunde in die Betkapelle an der Nordwand umgesetzt.
Die mit einer neuen Fassung versehene Muttergottes-Ikone aus dem 16. Jahrhundert bildet den Mittelpunkt der neuen Marienkapelle. Sie stammt aus Kreta und wurde 1969 von der Pfarrgemeinde erworben. Ihr bisheriger Platz war in der Kapelle an der Nordwand.
Aus Sicherheitsgründen musste nun eine verschließbare Trennung zwischen Vorhalle und Kirchenschiff geschaffen werden. Der Kirchenvorstand entschied sich für ein Ganzglasportal an der Stelle, wo vor rund 30 Jahren ein schmiedeeisernes Gitter entfernt worden war.
Anfang der 80er Jahre war zum wiederholten Male ein Innenanstrich fällig. Der brüchig und mürbe gewordene Voranstrich musste entfernt und nach neuesten Erkenntnissen mit haltbareren Keim-Farben erneuert werden.
Im Zuge dieser Maßnahmen wurde eine notwendige Reinigung aller Teile aus Naturstein, wie Säulen und Fenstermaßwerk, durchgeführt. Schließlich wurden die vorhandenen Glaspendelleuchten durch neue Leuchten aus mattem Messing ersetzt.
In den letzten Jahrzehnten hatten die Natursteinelemente in den Fassaden und am Turm durch Witterungs- und Umwelteinflüsse stark gelitten. Nach einer entsprechenden Untersuchung sind Schäden u.a. am Giebelkreuz, am Turm und am Ostportal behoben worden. Im Rahmen dieser Arbeiten wurden die beiden geschieferten Ziertürme an den westlichen Dachecken des Haupthauses vermutlich aus Kostengründen entfernt.
Eine große wichtige und bisher letzte Innenrenovierung erfuhr die Kirche in den Jahren 1993/1994. Zu diesem Zweck wurde sie für einige Monate bis auf die Altäre und den Taufstein ganz ausgeräumt. Eine Baugrunduntersuchung fand statt, Gewölbeschäden wurden ausgebessert, wiederum wurde die Heizung durch eine neue ersetzt, Elektroinstallationen waren erforderlich und die Beschallungsanlage wurde verbessert.
Unter der künstlerischen Leitung des Bildhauers Ernst Rasche aus Mülheim erfolgte eine neue Boden- und Stufengestaltung im Chorraum. Die aus liturgischen Gründen angestrebte Erweiterung des Altarraumes erreichte der Künstler mit einer ausladenden Stufenanlage, deren untere Stufe sich bis vor die Seitenaltäre in den Kirchenraum ausdehnt.
In der Vorderkante der mittleren Stufe ist wegen der Mittelstellung der Säulen ein neuer anspruchsvoll gestalteter Ambo aus italienischem Sandstein mit einem Lesepultaufsatz aus Eichenholz mittig eingelassen, ein würdiger Platz für Schriftlesung und Predigt. Der gesamte Chorboden ist, unter Beibehaltung zweier Randstreifen des alten Belages an den Seiten, in Naturstein ausgeführt.
Während der umfassenden Anstricharbeiten im gesamten Kirchenraum sind die im Jahre 1908 von Maler Heil geschaffenen zwei Gemälde an der Südwand des Chores, Verkündigung und Geburt Jesu, von den Restauratoren der Firma Maul und Beumling aus Köln wieder freigelegt und restauriert worden. Dieses erfreuliche Ereignis ist deshalb so bedeutungsvoll, weil die beiden Gemälde in einem theologischen Zusammenhang stehen mit dem Thema der benachbarten Chorfenster.
Der unterhalb der Chorfenster rundum laufende Wandfries mit Blatt- und Blumenornamenten, der ursprünglich den oberen Abschluss der von Heil ausgeführten Wandmalerei bildete, wurde ebenfalls freigelegt und restauriert. Bemerkenswert war hierbei die festgestellte Widerstandsfähigkeit der von Heil verwendeten Mineralfarben, die sowohl eine dreimalige Übermalung als auch den Freilegungsprozess der Bilder und des Fries gut überstanden haben.
Im Zuge der Umgestaltung des Chorraumes schuf der Künstler Rasche auch die endgültige Fassung des Zelebrationsaltares. Der neue Altar erscheint nun mit den wieder verwendeten Teilen der alten Kommunionbank und den abgestuften nach oben ausladenden Eckausbildungen der Eichenholzfassung als ein einheitliches, in sich geschlossenes Werk. Neben der künstlerischen Gesamtaufwertung des Altares kommt vor allem die Darstellung des Abendmahles durch eine zurückhaltende Rahmengestaltung besonders zur Geltung.
Mit der Erneuerung des Zelebrationsaltares fand die umfassende Renovierungsmaßnahme in der Pfarrkirche ihren Abschluss.
Am Patronatsfest, Oktober 1994, wurde der neue Altar im Rahmen eines feierlichen Pontifikalamtes
eingeweiht.
Als ältestes und wohl auch wertvollstes Teil in der Kirche gilt der romanische Taufstein aus dem 12. Jahrhundert, der schon der frühen Gemeinde in Herongen als Taufbecken diente. Er wurde nach der Fertigstellung der Pfarrkirche aus der alten Kirche übernommen und versinnbildlicht gleichsam die Kontinuität der Beziehung beider Kirchen und der Geschichte der Heronger Kirchengemeinde.
Das aus Blaustein geschlagene runde Becken ist durch vier quaderförmige Auskragungen, an deren Stirnseiten sich jeweils eine Maske befindet, gegliedert. Die dazwischen liegenden Flächen zeigen Palmettenschmuck und ein Schlangenmotiv, welches der Legende nach als Attribut des Hl. Amandus gilt.
Eine große kuppelartige Messinghaube diente dem Taufstein als Abdeckung. Sie wurde im Jahre 1994 durch eine flache Bronzeschale nach einem Entwurf von dem Bildhauer Ernst Rasche ersetzt. Der Taufstein steht heute in der kleinen Kapelle an der Nordwand des Kirchenschiffes.
Die seit frühester Zeit große Verehrung des Pfarrpatrons kommt auch in der mehrfachen Darstellung des heiligen Amandus in der Pfarrkirche zum Ausdruck. Schon beim Betreten des Kirchenraumes fällt der Blick auf eine Statue des Pfarrpatrons. Neben einer kleinen Amandusfigur am Hochaltar findet sich ein weiteres Amandusbild in einem großen Fenster über dem Seiteneingang in der Südwand, das den Heiligen mit den Insignien eines Bischofs und einen gefesselten Drachen zu seinen Füßen zeigt. Bemerkenswert ist ferner ein kleines Fenster in der Marienkapelle, das von dem Künstler A. Wendling 1936 entworfen und bei der Firma Derix in Kevelaer gefertigt wurde. Es stellt dar, wie der Bischof Amandus ein Kind auf dem Arm der Mutter tauft. Oben im Maßwerk ist die Heronger Amanduskapelle abgebildet.
4. Die Orgel in St. Amandus Herongen
Ein Festhochamt ohne Orgel ist heutzutage ( noch ) eine unvorstellbare Situation – für die Heronger Gemeinde jedoch bei der Kirchweihe und einige Zeit danach Normalität, wie eine Notiz im Protokollbuch des Kirchenvorstandes aus dem Jahr 1909 beweist: „ … keine Orgel seit Jahrhunderten“.
Erst im Jahr 1908 wird ein Harmonium für 130 Mark angeschafft, dem aber schon im Mai 1913 eine „richtige“ Orgel folgt, erbaut als Opus 195 von der Firma Seifert aus Köln, die anlässlich des Baus der Basilika-Orgel in Kevelaer eine Niederlassung errichtet hatte.
Für diese erste Pfeifenorgel in Herongen brachte die kleine Gemeinde die stattliche Summe von 7800 Mark auf. Diese Orgel mit pneumatischen Stöckchenladen verfügte über 14 Register, verteilt auf 2 Manuale und Pedal.
Nach einer größeren Renovierungsmaßnahme im Jahre 1949 hatte sich der Zustand der Orgel in den siebziger Jahren u. a. durch große Undichtigkeiten in den Bleiröhrchen, die die Windversorgung der Orgel sicherstellten, derart verschlechtert, dass die „Heuler“ nicht mehr mit einfachen Mitteln zu beseitigen waren.
So entschloss man sich zu einem umfangreichen technischen Umbau, der von der Orgelbaufirma Friedrich Fleiter in Münster i. W. durchgeführt wurde. Durch die Umstellung auf elektrische Trakturen verschwand der große Blasebalg, der sich unterhalb des Kirchenfensters zwischen den beiden Teilen des Orgelprospekts befand, sowie das Bleirohrsystem.
Zur Fertigung gelangten ein neuer freistehender und verschiebbarer Spieltisch, neue Windladen mit neuer Windversorgung sowie einige neue Register. Das Orgelgehäuse und gut erhaltene Pfeifenreihen wurden nach gründlicher Überarbeitung übernommen. Eine Haussammlung sorgte für den finanziellen Grundstock, so dass im Mai 1978 das Instrument wieder erklingen konnte.
5. Die Glocken der Pfarrkirche St. Amandus
Den meisten Herongern ist der Glockenklang vom Kirchturm her selbstverständlich und vertraut. Nur die Älteren können vielleicht noch wissen, dass zweimal in der hundertjährigen Geschichte der Kirche die beiden größten Glocken des jeweiligen Dreiklanggeläutes während der beiden Weltkriege für Rüstungszwecke beschlagnahmt wurden.
Im Jahr 1917 traf es die 1877 in Metz gegossene, 521 kg schwere Glocke St. Maria.
Sie war auf den Ton „g“ gestimmt und trug die Inschrift:
Gemeinde Herongen, J Timong Pfarrer, St Maria .
Die etwas kleinere Glocke wog 364 kg. Sie war auf „a“ gestimmt und hatte die Inschrift:
S. Amandus.
Gleich nach Beendigung des Krieges war die Gemeinde bestrebt, zu der verbliebenen so genannten „Läuteglocke“ eine neue Glocke in Auftrag zu geben. Trotz schwieriger Verhältnisse war die Spendenfreudigkeit der Gemeinde groß.
Die neue Glocke aus der Gießerei Petit und Edelbrock, Gussjahr 1923, 546 kg schwer, mit dem Ton „gis“ hatte die Inschrift:: Frieden bring uns dauernd wieder Segen läut vom Himmel nieder Anno 1923 als Amandus Friedensglocke erstanden unter Pfarrer Noy, Kaplan Brückelmann, Küster J Willen und dem Kirchenvorstand Joh Petjes, S Hillen, W Tissen, W Backes, L Dückers, G Backes.
Auf Grund freiwilliger Spenden erhielt die Gemeinde 1928 eine Glocke auf den Ton „f“ gestimmt und 1929 eine weitere mit dem Ton „b“. Die schon erwähnte kleine Läuteglocke wurde zum Umguss gegeben. Somit war das so lange vermisste Dreiklanggeläute wieder vollständig. Jedoch währte die Freude am vollen Glockenklang nur bis 1942, als wiederum die beiden größten Glocken abgeliefert werden mussten.
Als Läuteglocke blieb die kleine „b“ Glocke.
„Weil sich das Läuten mit der kleinen Glocke gar zu armselig anhörte“ war die Gemeinde bemüht, möglichst bald im angelegten Glockenfond die erforderlichen Geldmittel für neue Glocken durch Kollekten und Haussammlungen anzusparen. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse, gekennzeichnet von Geldentwertung und Schwarzhandel, vor allem aber aufgrund der großen so oft schon strapazierten Opferbereitschaft der Pfarrangehörigen gelang es, die erforderlichen Summen für den Erwerb neuer Glocken aufzubringen.
Am 10. Oktober 1954 erhielten zwei Bronzeglocken aus der Glockengießerei Petit-Edelbrock ihre kirchliche Weihe.
Die Amandusglocke trägt das Bild des heiligen Amandus mit Bischofsstab und Kapelle auf der Hand haltend. Sie hat die Inschrift in Anlehnung an ihre Vorgängerin:
Frieden bring uns dauernd wieder Segen läut vom Himmel nieder . Als zeitgeschichtliche Angabe: Anno 1954 als St Amandus-Friedensglocke erstanden unter Pfr Hahnen, Dechant i.R. Dr. Schlösser, Küster Johann Willen, unter dem Kirchenvorstand G Janssen,
J Thekook, W Rieter, F Maesmans, W Hüpen, M Michelkens.
Die Marienglocke trägt ein Bildnis der Muttergottes und die Inschrift:
Höre Mutter deine Kinder bitt Maria für uns Sünder – im marianischen Jahr 1954
Vereint mit der kleinsten, aber auch der ältesten Glocke, Gussjahr 1929, versehen mit einem Bild des heiligen Josef mit Jesuskind und der Inschrift:
Wollst St Josef stets im Leben und im Tod (die) Hand uns geben ist das Geläut der Pfarrkirche Herongen wieder vollständig.
Unser heutiges Dreiklanggeläut:
Amandusglocke, Durchmesser 1160 mm Ton „f“
Marienglocke, Durchmesser 966 mm Ton „as“
Josefsglocke, Durchmesser 860 mm Ton „b“
Die Josefsglocke fiel im Frühjahr 2004 von März bis Mai aus. Sie musste wegen eines Risses im Glockenschweißwerk Lachenmeyer in Nördlingen repariert werden. Wieder zu ihren Schwestern in die Glockenstube zurückgekehrt, erfüllt jetzt jede wie seit 50 Jahren ihre Aufgabe.
Die Josefsglocke schlägt die Viertelstunde und läutet zu den drei Tageszeiten zum Angelusgebet.
Die Marienglocke lädt zu den Werktagsgottesdiensten ein.
Die große Amandusglocke schlägt die volle Stunde. Sie ist auch die Totenglocke.
Alle drei gemeinsam rufen die Gemeinde feierlich zur Sonntagsmesse.
So begleiten sie die Menschen in Herongen durch die Zeit, bei alltäglichen, freudvollen und leidvollen Ereignissen im Leben jedes Einzelnen und der Pfarrgemeinde.
8. Schlussgedanken
Die Pfarrkirche hat das Jahrhundert ohne wesentliche Veränderungen in ihrer ursprünglichen architektonischen Gestalt überdauert. Natürlich waren Renovierungen und Substanz erhaltende Maßnahmen unumgänglich und auch das Erscheinungsbild des Kircheninneren war im Laufe der Zeit wiederholt Änderungen unterworfen, die zum Teil durch liturgische Neuerungen und sicher auch von modischen Strömungen und dem jeweiligen Zeitgeist beeinflusst und geprägt waren.
Obwohl hierfür nach Genehmigung durch die Baubehörde des Bistums erhebliche Geldmittel geflossen sind, waren größere Maßnahmen auch eine Herausforderung für die Kirchengemeinde. Die jeweils amtierenden Pfarrer konnten sich jedoch zu allen Zeiten auf die Spendenfreudigkeit und das Engagement der Pfarrangehörigen für ihre Kirche verlassen. Stiftungen und Vermächtnisse zu Gunsten der Kirche von Familien und Einzelpersonen machten bestimmte Anschaffungen, wie z.B. der Seitenaltäre, des Nebenaltares in der Betkapelle und der Fenster, erst möglich.
Darüber hinaus haben gute Ergebnisse vieler Kollekten und Haussammlungen zu einem gesicherten Erhalt des Gebäudes beigetragen.
Eine Pfarrkirche als Selbstzweck und nur als Denkmal wäre kaum vorstellbar. Sie bezieht ihre Rechtfertigung allein aus der Existenz der Gottesdienst feiernden Gemeinde. Sie ist Hort der Stille und zugleich zentraler Ort der Verkündigung des Evangeliums und der Spendung der Sakramente.
Wie viel Segen und Trost und wie viel sinngebende und auch friedensstiftende Impulse mögen im Laufe des Jahrhunderts von dieser Kirche ausgegangen sein? Und wie viele Menschen mögen mit dieser Kirche ganz persönliche, lebensbestimmende Erlebnisse und auch tiefe Glaubenserfahrungen verbunden haben?
Dass in einer kleinen Gemeinde in zwei nah beieinander liegenden Kirchen gleicher Konfession noch regelmäßig Gottesdienste gefeiert werden, gehört angesichts der Feststellung, dass zunehmend Kirchen geschlossen oder profanen Nutzungen zugeführt werden, mit zu den Besonderheiten der Heronger Kirchengeschichte.
Die abendliche Anstrahlung beider Gebäude betont diese Besonderheit und die historische Beziehung beider Gotteshäuser.
9. Quellennachweis:
Pfarrarchiv St. Amandus Herongen: Baupläne / Kirchenvorstandsprotokolle 1898-1968 / Pfarrgemeinderatsprotokolle 1971-1985 / Unterlagen der Renovierung 1993-1994 / Pfarrbriefe 1989 – 1996 / Kriegschronik W. Michelkens 1926 / Chronik des Kirchenchores / Stadtarchiv Straelen: Casper Clemens Pickel (1847-1939), Beiträge zum Kirchenbau 19. Jahrhundert H. Schmitjes / Herongen im Spiegel d. Presse ab 1847 Nr. 28 R. Peeters / Archivunterlagen des Architekten Hermann Goumans / Archivunterlagen der Werkstätten für Glasmalerei, Derix, Kevelaer / Heronger Heimatbuch H. Steger 1966 / 650 Jahre Stadt Straelen 1342-1992, Stadt Straelen 1992 / Die Bau- und Kunstdenkmäler von Nordrhein-Westfalen, Stadt Straelen R. Schiffler 1987 / 1100 Jahre Herongen, Straelener Schriftenreihe 2. 1999
10. Bildnachweis:
Pfarrarchiv St. Amandus Herongen: Abb.: 1,2,3,4,6,7,8,11,12,14,15,18,20,21,22 und Abbildungen der Umschlagseiten / Helmut Crienen: Abb.: 5,10,13,16,17 / Archiv der Werkstätten Derix Kevelaer: Abb.: 9 / Stadtarchiv Straelen: innere Umschlagseite hinten / Maria Pallußek: Abb.: 19
11. Impressum:
Herausgeber: Pfarrgemeinde St. Amandus Herongen, 2005
Text: Maria Rütters, Herongen
Kapitel 4 „Die Orgel in St. Amandus“: Hubert Goumans, Herongen
Layout: Karl Sendker